Erstellung von Normen: Fragwürdige Kosten und Urheberrechte

In einem Schreiben an cci Branchenticker schildert der Normenexperte Prof. Achim Trogisch mehrere aus seiner Sicht unkorrekte und verbesserungswürdige Vorgänge bei der Erstellung von Normen. Frage an die Leser: Wie sehen Sie das?

Prof. Achim Trogisch Nachfolgend die Zuschrift von Prof. Trogisch:

Normen und Regeln der Technik sind notwendig und sollten dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Bei der Erarbeitung dieser Regeln wird auf das Fachwissen von Personen und Gremien sowie auf europäische Vorschläge (EN-Normen) zurückgegriffen. Das Erstellen von Normen beruht auf vorgegebenen Regularien: Erst erscheinen Entwürfe (mit Fristen für Einspruchsmöglichkeiten), dann folgt das Sichten und Beurteilen der Einsprüche und deren Verarbeitung zum Weißdruck, der nach einer gewissen Zeit (meist mehrere Jahre) geprüft und gegebenenfalls überarbeitet und aktualisiert wird /1/.

Bei der Mitarbeit an DIN-Normen gibt es für die Beteiligten bestimmte, auch finanzielle und urheberrechtliche Randbedingungen. Die finanziellen Bedingungen für eine aktive Mitarbeit (mehrere 1.000 €) sind für eine Privatperson oder zum Beispiel ein kleines Ingenieurbüro kaum erschwinglich, sodass dieser Personenkreis auf die Veröffentlichung und den Zugriff der „Norm-Entwürfe“ angewiesen ist. Auch dies ist mit nicht unerheblichen Kosten verbunden, denn in der Regel kosten Normen und Normentwürfe mehr als 100 €, oft sogar deutlich mehr. Zudem wird der Zeitraum zwischen der Veröffentlichung eines Entwurfs und der Einspruchsfrist immer kürzer (früher waren es meist drei Monate, heute sind es oft weniger als die Hälfte). Dies lässt den Verfasser vermuten, dass eine externe Mitarbeit an der Überarbeitung der Norm kaum erwünscht ist. Entschließt man sich aber zu einem Einspruch in schriftlicher Form, wird dieser bei DIN aufgenommen und registriert. So weit, so gut.

Mit der Einladung zur Einspruchssitzung erhält der Einsprechende folgende Information:
„Wir möchten darauf hinweisen, dass die Normen ein Gemeinschaftswerk sind. Die Beteiligten übertragen daher ihre Urhebernutzungsrechte an den jeweiligen Arbeitsergebnissen auf DIN. Dies wird auch von Ihnen erwartet. Deshalb bitten wir Sie, durch Unterzeichnung des beigefügten Formulars, DIN die Urhebernutzungsrechte an dem von Ihnen übersandten Änderungs- bzw. Ergänzungsvorschlag einzuräumen, wie dies auch die anderen Mitarbeiter für ihre Beiträge tun. Bitte senden Sie uns das Original per Post zurück, wenn möglich doppelseitig bedruckt. Sollten Sie ein Exemplar für sich benötigen, senden Sie uns bitte zwei unterschriebene Exemplare zu, damit es von unserem Geschäftsführer gegengezeichnet und wieder an Sie zurückgesendet werden kann. Sollte Ihre Unterschrift nicht vorliegen, kann Ihr Textbeitrag, selbst bei unveränderter Bestätigung in der Einspruchsverhandlung, in der zu veröffentlichenden Norm nicht berücksichtigt werden.“

Die Problematik des Urheberschutzes könnte unter Umständen in der zuvor beschriebenen, wahrscheinlich von Juristen erstellten Form, akzeptiert werden. Die direkte Kopplung zwischen dieser Zustimmung und der möglichen Berücksichtigung eines Einspruchs oder Hinweises erscheint dem Autor aber als unakzeptabel. Diese vorgegebene Verknüpfung gibt es nur bei DIN und erscheint bezüglich der möglichen Mitarbeit kontraproduktiv.

Dass es auch anders geht, zeigt zum Beispiel die Formulierung in der VDI-Richtlinie 1100 „Grundsätze und Anleitungen für die Erarbeitung von VDI-Expertenempfehlungen“ (Entwurf Mai 2018). Diese Richtlinie ist die Grundlage zur Erarbeitung von VDI-Expertenempfehlungen, indem sie Begriffe und den Prozess für ihre Erarbeitung festlegt, Dies dient nicht nur der Qualitätssicherung bei der Erarbeitung, sondern auch der Transparenz, insbesondere gegenüber den Anwendern. Inhaltlich werden behandelt: Grundsätze der Erarbeitung von VDI-Expertenempfehlungen; Anleitung für die Erarbeitung von VDI-Expertenempfehlungen; Herausgabe und Verbreitung von VDI-Expertenempfehlungen; Urheberrecht; gewerbliche Schutzrechte. Ein wichtiger Hinweis steht im Kapitel 6 „Urheberrechte“: „Durch die Übertragung der Urhebernutzungsrechte entäußert sich der Miturheber nicht seiner Rechtsposition, die er an seinem Wissen und an seinem Beitrag zur Erarbeitung einer VDI-Expertenempfehlung hat; die Ausschussmitglieder behalten uneingeschränkt das Recht, das von ihnen in Erarbeitung einer VDI-Expertenempfehlung eingebrachte Fachwissen und Materialien (z. B. Texte, Bilder, Algorithmen) weiterhin selbst zu nutzen.“

Es wäre aus meiner Sicht daher wünschenswert, wenn
– man bei DIN über diese Problematik nachdenkt und auch trotz aller wirtschaftlichen Zwänge die Kostenproblematik überdenkt,
– die Einspruchsfrist mindestens drei Monate nach Erscheinen der Norm betragen würde,
– die Entwürfe kostenlos oder für nur einen geringen Beitrag zur Verfügung gestellt würden,
– die Normen wieder kurz und knapp würden und keine wissenschaftliche Abhandlung, die nur noch wenige Fachleute verstehen,
– die Normen so verfasst werden, dass es für „Juristen“ keinen Ansatz für rechtliche Interpretationen gäbe,
– die Verweise in der Literatur auch aktuelle Erkenntnisse zum Thema aus Deutschland und der Schweiz berücksichtigen,
– staatlicherseits die Normenarbeit wieder gefördert würde (gab es bis Anfang 2000), sodass eine Mitarbeit nur noch mit geringeren Kosten verbunden wäre,
– die gesamte Normenarbeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden würde und somit die wirtschaftlichen Zwänge für DIN bzw. Beuth minimiert werden könnten

Prof. (em.) Achim Trogisch, Fakultät Maschinenbau, HTW Dresden


/1/ siehe Beitrag „Von grün zu weiß: Wo kommen Normen?“ in cci Zeitung 03/2018, Seite 20

Ihr Statement ist sehr willkommen per E-Mail an redaktion@cci-dialog.de.

Artikelnummer: cci61845

Ein Kommentar zu “Erstellung von Normen: Fragwürdige Kosten und Urheberrechte

  1. Vielen Dank an Prof. Trogisch für den „Wink mit dem Zaunpfahl“ an das DIN.
    Insbesondere für die konstruktiven Verbesserungspunkte, von denen ich viele bereits zu meiner Zeit als VDI-Vertreter im DIN-Präsidium unterstützte.
    Dazu habe auch folgende Kommentare:
    1. Weil die Erstellung von Normen oft unerträglich lange dauerte, hat man die Einspruchsfrist herabgesetzt – neben der DIN/Beuth-Bearbeitungszeit nach der Gremienarbeit, die einzige Stellschraube des DIN selbst. Gremien könnten durch den DIN-Betreuer „motiviert“ werden.
    2. A) Kosten der DIN-Entwürfe: Wer mit der umständlichen elektronischen Kommentierung arbeiten kann, hat kostenlos Zugriff – siehe Kommentar von Frau Block.
    2. B) Damit kleinere Betriebe und Ing.-Büros so günstig an Normen kommen wie die Großindustrie, hatten wir damals beschlossen, dass Kammern, Hochschulen und Verbände für ihre Mitglieder Normen ebenso günstig beschaffen können.
    3. Kurz und knapp: Wenn die Industrievertreter den auch mitwirkenden Hochschulprofessoren nicht „auf die Finger klopfen“ (wer getraut sich das schon), muss man sich nicht über wissenschaftliche Abhandlungen wundern …
    Bei „meinen“ Normen für die Gebäudeautomation habe ich das nicht zugelassen.
    4. Der „Juristen-Interpretations-Ansatz“ ist sicher nicht gewollt – im Gegensatz zu Gesetzen, verfasst durch die Juristen-Lobby in den Parlamenten.
    5. Deutsche Literaturverweise: Diese sind bei den heute hauptsächlich entstehenden EN- und ISO-Normen eher nur im nationalen Vorwort möglich – und das müsste der Vorsitzende des Gremiums verfassen.
    6. Staatliche Förderung: Ja – viele europäische oder internationale Normungsvorhaben werden aus Kostengründen in die Länder „verlagert“, in denen die Mitarbeit dank Staatsbeteiligung günstiger ist. Das ist nicht gut für die deutsche Wirtschaft (aber es stört auch nicht – wir sind trotzdem Export-Primus).
    7. Gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Ja – nur unsere Parlamente (die Juristen dort?) sehen das anders: „Das soll die Industrie, die ja daran verdient, bezahlen.“

    8. Zum Fließtext: Die VDI 1100 beschreibt NICHT die VDI-Richtlinen-Entstehung.
    Das neue Format VDI-Expertenempfehlungen, kurz VDI-EE, kommt dann zum Einsatz, wenn Geschwindigkeit bei der Standardisierung erforderlich ist und nicht alle interessierten Kreise eingebunden werden können. Somit ist die VDI-Expertenempfehlung auch als Empfehlung zu verstehen und hat im Gegensatz zu einer VDI-Richtlinie nicht den Anspruch, eine allgemein anerkannte Regel der Technik zu werden bzw. zu sein.
    Diese entspricht damit der „DIN SPEC“, die auch nicht im Konsens entstehen muss.
    Die Entstehung der „echten“ Normen sind in DIN 820-1-ff und die der „echten“ VDI Richtlinien in der VDI 1000 beschrieben.

    9. DIN sollte die Formulierung der Anschreiben an die Einsprecher überdenken.

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